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Erinnerung an Adolphe Monod (1802-1856)

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Napoléon Roussel: Wie man nicht predigen sollte

Jesus Christus, das Vorbild des Predigers

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Das letzte – und zweifellos schönste – Kapitel des Buchs Wie man nicht predigen sollte ist Jesus Christus, dem größten aller Prediger gewidmet.
Roussel stellt zuerst fest, dass Jesus die Kunstgriffe der Redekunst nicht verwendet: „Jesus hält keine Reden, er redet ... bei ihm gibt es keine Teilung, keine besondere Anordnung, weder Exordium noch ausgefeilten Schluss.“ Wer Jesus in der Kanzel nachahmen will, muss reden, statt Reden zu schwingen.

Der Inhalt

Jesus spricht nicht in abstrakten Begriffen, sondern er „personalisiert“ seine Rede. „Wenn er auf eine abstrakte Idee trifft, verwandelt Jesus sie in ein lebendiges Wesen“: er spricht nicht von der Erlösung, sondern vom Erlöser; er redet nicht von der Demut, sondern von den Demütigen. Auf diese Art verlagert Jesus die Debatte in die reale Welt. Abstrakte Begriffe können Ideen, aber keine Gefühle vermitteln; sie können ein System mitteilen, aber nicht das Heil. Darüber hinaus können sie den Zuhörer im Irrglauben bestärken, er sei ein Christ, nur weil er die christliche Lehre versteht. Es ist auch viel interessanter, von Menschen erzählt zu bekommen als von Abstraktionen.

Der Zuhörer

Jesus passt sich seinen Zuhörern an. Er berücksichtigt ihre Intelligenz und ihre Rechtschaffenheit, ihre Vorurteile und ihren Beruf. Er begibt sich auf ihr Niveau und bringt sie Schritt für Schritt dazu, ihre Fehler einzusehen und die Wahrheit, die er ihnen vermitteln will, zu begreifen. Die einzigen, die er verurteilt, sind die scheinheiligen Pharisäer, die er als unrettbar ansieht.

Oft antwortet Jesus nicht so sehr auf die Fragen, die ihm gestellt werden, sondern auf die Gedanken, die sich dahinter verbergen: „Er geht auf den Grund der Seele seiner Zuhörer und sucht dort, was sie verbergen oder wovon sie sich selbst nicht bewusst sind. Er begnügt sich nicht damit, dem Anschein nach zu triumphieren, sondern er will tatsächlich den Sieg davontragen, nicht mundtot machen, sondern überzeugen.“ Darin unterscheidet er sich von vielen Predigern, die eher verwirren als überzeugen und die sich damit begnügen, eine formal korrekte Antwort zu geben, ohne sich zu fragen, ob sie auf die tieferliegenden Fragen eingehen, die vielleicht nur sehr unvollkommen ausgedrückt sind.

Jesus besitzt darüber hinaus eine ganz besondere Fertigkeit, sein Gegenüber tief zu bewegen. Seine dreifache Frage an Petrus, die dessen dreimalige Verleugnung Jesu anklingen lässt, ist ein Beispiel dafür, ebenso wie die Art und Weise, wie er mit der Situation umgeht, als man ihm eine auf frischer Tat ertappte Ehebrecherin vorführt.

Roussel bezieht sich auf das Wort Jesu „Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, wird erkennen, ob diese Lehre von Gott stammt oder ob ich in meinem eigenen Namen spreche.“ und leitet daraus ab, dass jeder in dem Maß zur Wahrheit gelangt, in dem er das Gute liebt. „Wir werden deshalb nur dann mit unseren Zuhörern Erfolg haben, wenn wir sie dort treffen, wo sie in Bezug auf diese Liebe zum Guten stehen.“ Es ist daher notwendig, unsere Lehre den Bedürfnissen und dem Verständnis der Zuhörer anzupassen. Wenn der Prediger so vorgehen will, muss er allerdings neue Wege gehen und den Komfort der vorgefertigten Zitate und Behauptungen aufgeben.

Roussel ist der Auffassung, dass sich der Prediger darauf beschränken soll, was den Menschen gemeinsam ist. Jeder hat, bis zu einer gewissen Grenze, ein Herz, ein Gewissen und einen Verstand. Wenn der Prediger aber in die Tiefen der Theologie, der Logik oder der Philosophie abtaucht, lässt er die meisten hinter sich zurück.

Jesus unterscheidet sich durch seine Natürlichkeit und seine Einfachheit. Wer versteht seine Gleichnisse nicht? Jesus redet nicht von den Feinheiten, die die Gelehrten seiner Zeit beschäftigt haben mögen; er nimmt seine Bilder aus der  Natur, den Feldern, der Familie. Obwohl seine Worte tiefgründig sind, kann jeder sie verstehen.

„Wer predigt so einfach wie Jesus Christus? Wer kann sagen: unter meinen Zuhörern gibt es nicht eine Magd oder einen Bauern, der mich nicht verstanden hat? Niemand. Warum? Weil niemand so an seien Zuhörer denkt, dass er sich selbst genügend vergisst.“

Der Prediger

Trotz seiner Größe und der Bedeutung seiner Aufgabe verschwindet Jesus selbst in seinen Reden. Er macht sich klein, er spricht meistens von anderen. Er, der Sohn Gottes, bezeichnet sich selbst als ‚Menschensohn’.

„Deshalb schreckt er auch nicht davor zurück, einen Allerweltsstil anzunehmen. Man sieht bei ihm keine wie auch immer gearteten literarischen Ansprüche. Wenn er seine Ideen farbig macht, Formen wiederholt oder seine Lehre dramatisiert, dann immer nur, um seinen Zuhörern zu helfen. Es geht ihm darum, verstanden – und nicht bewundert – zu werden?“

Roussel erwähnt kurz Adolphe Monod, dessen Redegewandtheit allerorts bewundert wurde. Seine eindrucksvollsten Reden hat er allerdings auf dem Totenbett gehalten, „und zwar genau deshalb, weil dort sein Stil der Einfachheit Platz gemacht hat..“ Roussel fährt fort:

„Ja, wenn man mir von der Ewigkeit spricht, dann möchte ich den Menschen hören, und nicht den Redner. Ich will nicht, dass man mich bezaubert, sondern dass man mich lehrt. Ich bin nicht da, um meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen, sondern um zu Gott bekehrt zu werden. Wenn ihr mein Augenmerk auf euer Talent richtet, dann ist das eigentliche Ziel verpasst. Ihr macht mich dann zum Diener euren Rufs anstatt euch meinem Heil zu widmen. Diese Kanzel ist aber nicht für dich Prediger aufgestellt worden, sondern für mich Zuhörer! Du bist da, um mir zu dienen!“

Roussel fasst seine Entdeckungen in drei Empfehlungen zusammen. Es geht darum,

  • Menschen anzusprechen, und nicht Ideen;
  • Den Zuhörern zu dienen; und
  • Selber zurückzustehen.

Er schließt mit zwei Ermahnungen. Die erste richtet sich an unbekehrte Prediger. Roussel ist der Auffassung, dass ihre Arbeit vergebens ist, es sei denn, sie bekehren sich. Dann wendet er sich an die bekehrten Prediger. Er empfiehlt ihnen, ihre Selbstherrlichkeit zu Grabe zu tragen und ihre Rede einfacher zu gestalten. Dazu ist aber eine bessere Vorbereitung erforderlich.

„Wenn wir unser Thema länger bearbeitet hätten, wenn wir unsere Sache besser beherrschen würden, wenn unsere Vorstellungen klarer, unsere Gliederung vollständig und unser Herz vom Meditieren erwärmt wäre, und vor allem wenn wir uns im Gebet der Salbung durch den Heiligen Geist versichert hätten, dann würden wir ohne Befürchtungen auf die Kanzel steigen und dort bleiben, ohne Angst zu haben, dass wir einen Teil unserer Ausführungen vergessen, ohne die Sorge, ob man uns interessant findet. Mit einem freien und ruhigen Geist würden wir beherzt zur Sache gehen, unser Auftreten selbst würde schon Respekt einflössen, und, da wir uns selbst immer besser im Griff hätten, da das Thema uns umso stärker erfassen würde, je mehr wir vorankommen, hätten wir auch die Zuhörer besser im Griff und würden sie letztlich voller Freude ans Ziel bringen.“

Roussel betont zuletzt noch die Wichtigkeit des innigen Gebets um den Beistand des Heiligen Geistes. Ohne das Eingreifen des Geistes Gottes bleiben alle unsere Anstrengungen letztlich fruchtlos.

 

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